Der Standish Group Chaos-Report zeigt es schwarz auf weiss: 70% aller IT Projekte verlaufen nicht zufriedenstellend. Warum ist das so? SAP Schweiz hat mich eingeladen, diese Frage aus psychologischer Sicht zu beantworten.
Auftraggeber: „Es sollte klar sein, oder hast du noch Fragen?“
Projektleiter: „Alles klar!“
…
Auftraggeber: „Warum läuft es immer noch nicht?“
Projektleiter: „Vertrau mir! Ich habs im Griff.“
…
Auftraggeber: „Ja aber so habe ich das nicht gewollt!“
Projektleiter: „War aber so spezifiziert!“
In diesen Dialogen zeigen sich deutliche Denkfehler. Denkfehler sind falsche Überzeugungen oder blinde Flecken, die dem Projekt schaden.
Denkfehler 1: Wissen ist Macht.
Je mehr Erfahrung wir haben, umso eher finden wir uns in bekannten Situationen wieder. Diese Mustererkennung hilft enorm, Herausforderungen zu meistern. Gleichzeitig ist damit aber eine grosse Gefahr verbunden: Keine zwei Herausforderungen sind identisch! Sobald ich auf meine Erfahrungen schaue, sehe ich die Herausforderung nicht mehr. Erfahrung macht blind für aktuelle Informationenen – Wissen macht blind!
Denkfehler 2: Auftraggeber wollen Sicherheit
Was sagt der Auftraggeber im obigen Dialog zwischen den Zeilen? „Ich will eigentlich gar nicht mit dir reden, bitte löse einfach das Problem für mich, dafür bezahle ich dich ja.“ Und der Projektleiter sagt zuerst: „Ich will auch nicht mit dir reden, ich weiss schon was ich tue.“ Um später kleinlaut hinzuzufügen: „Ja wenn du nicht weisst, was du willst, kann ich auch nichts machen.“ In der Sicherheit lern man nicht.
Denkfehler 3: Methoden geben Sicherheit
Projektleiter lieben Tools und Methoden. Kein Wunder, schliesslich sind Tools und Methoden verdichtetes Wissen (Wissen ist Macht, siehe oben). Kein Problem, solange man beides als Insturment einsetzt um zu lernen und Komplexität zu managen. Kein Tool und keine Methode befreit jedoch vom selber denken: A fool with a tool is still a fool.
Es ist sehr verständlich, dass man als Projektleiter die Unsicherheit möglichst klein halten will. Aber dieses Denken ist falsch! Dies ist der zentrale Denkfehler, der viele Projekte zum Scheitern bringt! Warum ist das so? Projekte sind erfolgreich, wenn die Auftraggeber mit den Resultaten zufrieden sind. Und Zufriedenheit ist nicht zu erreichen ohne Unsicherheit. Denn die Vorstellungen von Projektleiter, Auftraggeber und weiteren Stakeholdern, was eine gute Lösung ist, eine Lösung, die zufrieden macht, gehen weit auseinander! Werden diese Vorstellungen nicht geklärt, kann gar keine Zufriedenheit entstehen! Der folgende Navigator veranschaulicht die Situation:
Projektleiten heisst navigieren durch die Unsicherheit
In der Komfortzone (CZ) fühlen wir uns wohl. Dort sind wir kompetent, wissen wies geht (und sind blind für Alternativen).
In der Panikzone (PZ) dagegen fürchten wir das Scheitern, weil die Unsicherheit und das Chaos Überhand nehmen. Welcher Projektleiter kennt den Zustand und die Sprüche am Rande der Panikzone nicht: „Das gibt ein Desaster!“ „Wenn ich bis morgen nicht XY habe, ziehe ich den Stecker!“
Zwischen Panikzone und Komfortzone liegt die Lernzone (LZ). Hier ist die Haltung: „Wir wissen, dass wir es noch nicht verstanden haben“. Auftragsklärung und Erwartungsmanagement finden ausschliesslich in der Lernzone statt! Und nur dann, wenn alle Beteiligten, Projektleiter und Auftraggeber in der Lernzone sind!
Projektmanagement bedeutet im Wesentlichen Unsicherheitsmanagement. Wie verläuft die Unsicherheit von Projektleiter und Auftraggeber im Eingangs geschilderten Fall? Man hat zu wenig Zeit um die Vorstellungen zu klären, baut auf Annahmen und erreicht rasch den Zustand, den man tunlichst vermeiden wollte: Die Panikzone!
Der Auftraggeber (gestrichelte Linie) wird zuerst in der Komfortzone gehalten. Aussagen wie “Vertrau mir!” katapultieren den Projektleiter in die Panikzone. Denn wenn Vorstellungen nicht geklärt sind, können sie nicht erfüllt werden. Die Unsicherheit des Auftraggebers wächst und wächst, bis es knallt.
Wie könnte denn ein Projekt anders laufen? Indem man als Projektleiter sich selbst und allen Projektbeteiligten früh und kontrolliert Unsicherheit zumutet:
Projektleiter: „Was muss unbedingt passieren?“
„Was darf auf keinen Fall passieren?“
„Woran merken wir, dass wir auf Kurs sind?“
„Was haben wir übersehen?“
„Vertrau mir! Dies sind die Fakten und so interpretiere ich sie.“
Solche Fragen führen rasch und zielsicher in die Lernzone. Eine wichtige und notwendige Investition für späteren Erfolg.
Durch solche Fragen wird der Auftraggeber in die Lernzone geholt. Dies ist weder einfach noch reibungslos, denn oft haben Auftraggeber weder Zeit noch Lust, ihre Vorstellungen zu hinterfragen. Dieses Vorgehen führt rasch zu kleineren Reibungspunkten, die jedoch matchentscheidend sind, um Vorstellungen abzugleichen. Die Komfortzone stellt sich allmählich ein, wenn alle Beteiligten merken, dass man sich auf die gemeinsame Vorstellung zubewegt.
Und falls Auftraggeber mitlesen: Auch Sie können diese zweite Variante anzetteln, indem Sie gewisse Sätze aus Ihrem Wortschatz verbannen und durch andere ersetzen:
Auftraggeber: „Hast du verstanden? Was hast du verstanden?“
„Alles klar? Was sind deine nächsten Schritte?“